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Beispiele erstrittener Gerichtsentscheidungen:


15.12.2005

Ein Ausspähen der PIN stellt im Falle des Missbrauchseinsatzes von Kreditkarte und PIN am Geldautomaten zwar eine theoretisch denkbare Möglichkeit dar, die geeignet ist, den Anscheinsbeweis dafür, dass anlässlich der Entwendung der Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung Kenntnis erlangt werden konnte, zu entkräften.
Eine Entkräftung bleibt – selbst bei Missbrauchsumsätzen ca. eine Stunde nach dem letzten Eigen-Geldautomatenumsatz des Karteninhabers – jedoch dann außer Betracht, wenn der Karteninhaber angegeben hat, ihm sei „nichts aufgefallen“ und bei seiner Statur sei ein Ausspähen, z.B. durch „shoulder-surfing“, praktisch nicht möglich, und wenn es zu dem betreffenden Geldautomaten weder vorher noch nachher Reklamationen bezüglich Manipulationen, z.B. an Tastatur oder mittels Kamera, gab.

Urteil des Landgerichts München I vom 15.12.2005 (34 S 6308/05), zuvor Urteil des Amtsgerichts München vom 14.02.2005 (242 C 30736/04).


In dem gegebenen Prozess vor dem Amtsgericht und sodann in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht München I hatte das Kreditkartenunternehmen den Karteninhaber auf Schadenersatz in Höhe der Bargeldabhebungen verklagt, die missbräuchlich unter Verwendung seiner Kreditkarte nebst PIN im Zeitraum zwischen dem 27.04. und 29.04.2003 an verschiedenen Geldautomaten in München vorgenommen worden waren. Unstreitig hatte der Karteninhaber am 27.04.2003 um 05.32 Uhr unter Verwendung seiner Kreditkarte nebst PIN noch selbst eine Bargeldabhebung an einem Geldausgabeautomaten getätigt. Am gleichen Tage ab 07.04 Uhr wurden sodann die streitigen Missbrauchsumsätze vorgenommen, wobei die PIN jeweils ohne Fehlversuche richtig eingegeben worden war. Die Parteien stritten insbesondere darüber, ob der Karteninhaber den Missbrauch seiner Kreditkarte grob fahrlässig verursacht hat, indem er die Kreditkarte lose in der hinteren Hosentasche aufbewahrte und auch solchen Verlust erst drei Tage später bemerkt hatte, und dass anlässlich der Entwendung der Karte der Entwender von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung Kenntnis erlangen konnte. Der Karteninhaber behauptete insbesondere, dass seine PIN anlässlich seines letzten Eigenumsatzes am Geldautomaten ausgespäht worden sei, und dass ihm unmittelbar danach auf dem Weg zur U-Bahn oder in der U-Bahn die Karte gestohlen worden sei. Insbesondere hatte der Karteninhaber behauptet, dass laut Presseberichten Ende April 2003 in großem Umfange Kreditkarten nebst PINs entwendet und ausgespäht worden seien, und dass in München ein Schaden von ca. 200.000 € entstanden sei.

Das Amtsgericht München hatte die Klage abgewiesen, insbesondere mit der Begründung, dass die Regeln über den Anscheinsbeweis dann nicht anwendbar seien, wenn eine Ausspähung der PIN etwa mit Hilfe optischer oder technischer Hilfsmittel oder durch eine Manipulation des Geldausgabeautomaten oder ein aufmerksames Verfolgen der PIN-Eingabe am Geldausgabeautomaten als ernsthafte Möglichkeit der Schadensursache in Betracht komme. Das Amtsgericht nahm an, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliege, da ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang zwischen der letzten unstreitigen und der ersten streitigen Bargeldabhebung unter Benutzung der Geheimzahl vorliege.

Dieses Urteil hob die 34.Berufungskammer des Landgerichts München I mit Urteil vom 15.12.2005 auf. Das Landgericht folgte der Auffassung des klagenden Kreditkartenunternehmens, dass im gegebenen Fall keine Erschütterung des Beweises des ersten Anscheins gerechtfertigt ist, sodass der Karteninhaber bei dem Diebstahl der Karte die Kenntnis der PIN pflichtwidrig verschafft hat. Wenn an Geldausgabeautomaten unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl Geld abgehoben werde, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass anlässlich der Entwendung der Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung Kenntnis erlangt werden konnte und somit dieser Anscheinsbeweis für ein grob fahrlässiges Verhalten des Karteninhabers mit der Geheimhaltung seiner persönlichen Geheimzahl spreche. Ein Ausspähen der PIN stelle zwar eine theoretisch denkbare Möglichkeit dar, die geeignet sei, den Anscheinsbeweis zu entkräften. Ein Ausspähen bleibt jedoch so fernliegend, dass es nicht ernsthaft in Betracht kommt, wenn der Karteninhaber so gut wie nichts an tatsächlichen Umständen angeben kann. Im gegebenen Fall hatte der Karteninhaber angegeben, dass ihm nichts aufgefallen sei und dass bei seiner Statur ein Ausspähen, z.B. durch „shoulder-surfing“ praktisch nicht möglich sei. Als entscheidungserheblich sah das Landgericht auch an, dass es zu dem betreffenden Geldautomaten weder vorher noch nachher Reklamationen bezüglich Manipulationen, z.B. an Tastatur oder mittels Kamera, gegeben habe. Darüber hinaus sprach das Landgericht aus, dass ein Aufbewahren einer Kreditkarte lose in der hinteren Hosentasche und das Bemerken eines solchen Verlusts erst drei Tage später keinen sorgfältigen Umgang mit der Kreditkarte darstellt.

Das Landgericht hat die Revision nicht zugelassen.


Der Wortlaut der Entscheidung kann Hier abgerufen werden.

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